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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783896671592
Sprache: Deutsch
Seiten: 352 S.
Format (H/B/T): 3.2 x 22 x 14.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

"Es ist noch nicht so lange her, da stellten im sexuellen Umgang von Jungen und Mädchen harmlose Umarmungen und Küsse die erste Stufe dar. Die zweite Stufe bestand aus Zungenküssen plus Fummeln. Die dritte Stufe war Oralsex. Auf der vierten Stufe ging es ,zur Sache`. Das war gestern. Heute, im Jahr 2000, können wir die Umarmungen und Küsse schon mal vergessen. Mit derartigen Harmlosigkeiten halten sich die Mädels und Jungs gar nicht erst auf. Heutzutage geht das anders: erste Stufe Zungenkuss, landläufig Zäpfchen-Hockey genannt, plus Fummeln. Zweite Stufe Oralsex. Auf der dritten Stufe geht es ,zur Sache'. Und die vierte Stufe ist erreicht, wenn man seinem Partner namentlich vorgestellt wird."Wie selten aber amerikanische Jugendliche heutzutage den Namens ihres Partners erfahren - wohlgemerkt, nachdem sie Sex mit ihm hatten -, das erstaunt selbst einen so hartgesottenen Beobachter alles Zeitgenössischen wie Tom Wolfe. In den Mechanismen des "Hooking Up", also des menschlichen Balzverhaltens zwischen Kennenlernen und ehelichem Alltag, hat sich offenbar einiges geändert seit Wolfes eigener Jugend, wie sein amüsanter (und teilweise schockierender) Streifzug durch die amerikanische Sexualmoral von heute zeigt.Der Essay "Hooking Up" ist nicht ohne Grund Auftakt und Titelgeber dieser Sammlung der besten Prosastücke, die Tom Wolfe in den letzten Jahren geschrieben hat. Denn es ist sein Interesse am menschlichen Miteinander und den gewaltigen Umwälzungen des digitalens Zeitalters, das für ihn als Journalisten - und das war er viele Jahre, bevor er zum gefeierten Romanautor wurde - stets im Vordergrund stand und steht. So beschäftigen sich seine Essays mit den Auswirkungen der neuesten Ergebnisse der Gehirnforschung auf das menschliche (Selbst)-Bewusstsein ("Sorry, But Your Soul Just Died") und setzen sich kritisch mit den Thesen des Neodarwinismus auseinander ("Digibabble, Fairy Dust and the Human Anthill"); sie beleuchten die eher resignative Stimmung, die sich am Endedes 20. Jahrhunderts, das oft als das "amerikanische Jahrhundert" bezeichnet wurde, breitgemacht hat ("In the Land of Rococo Marxists"), und zeigen - in "The Great Relearning" - die Auswirkungen eines rückwärts gewandten Denkens auf Kunst und Politik. Hervorragend recherchiert und brillant geschrieben sind auch zwei Essays, die sich mit Männern beschäftigen, welche sich jenseits des Mainstreams bewegten und - zumindest im ersten Fall - nachhaltig die Geschichte beeinflussten: Robert Noyce, der Erfinder des Halbleiters und Gründer von Silicon Valley, und Frédérick Hart, der zwar in Amerika populäre, weltweit aber zu Unrecht verkannte amerikanische Bildhauer, dem Wolfe eine große Renaissance voraussagt.Die Glanzstücke dieser Sammlung sind freilich diejenigen, die sich - auf stilistisch ganz unterschiedliche Weise - mit der Welt auseinandersetzen, die seit Jahrzehnten Wolfes Welt ist: die Welt der Medien. Die Novelle "Ambush at Fort Bragg", der einzige fiktive Text der Sammlung, ist ein echtes Kabinettstückchen, in dem Wolfe alle Register seines satirischen Könnens zieht. Er schildert darin eine Begebenheit in der Nähe eines Army-Stützpunkts in North Carolina, wo ein junger Soldat unter ungeklärten Umständen zu Tode kommt. Der Verdacht fällt auf drei Kameraden des Ermordeten, die diesen wegen seiner Homosexualität schon lange auf dem Kieker hatten. Ein Fernsehteam will nicht nur bei der Aufklärung des Falls helfen, sondern aus ihm ein Medienereignis machen. Tatsächlich gelingt es dem ehrgeizigen Produzenten (und seiner nicht minder ehrgeizigen Anchorwoman) die Verdächtigen zu einem Quasi-Geständnis vor die Kamera zu bringen. Doch das Blatt wendet sich - plötzlich wird der Sender unfreiwillig zur Plattform reaktionären Gedankenguts und gerät mächtig ins Schwimmen. Eine gelungene Satire auf die Quotengeilheit von Fernsehanstalten, die nicht nur in den USA vor nichts zurückschrecken, sich aber durchaus manchmal selbst ein Bein stellen.Typische Wolfesche Attacken sind au

Autorenportrait

Tom Wolfe, 1931 in Richmond, Virginia, geboren, arbeitete nach seiner Promotion in Amerikanistik als Reporter u.a. für The Washington Post, Esquire und Harper's. In den 1960er-Jahren gehörte er mit Truman Capote, Norman Mailer und Gay Talese zu den Gründern des "New Journalism". Der vielfach preisgekrönte Schriftsteller (National Book Award u.a.) war mit Büchern wie The Electric Kool-Aid Acid Test (1968) international längst als Sachbuchautor berühmt, ehe er mit Fegefeuer der Eitelkeiten (1987) seinen ersten Roman vorlegte, der auf Anhieb zum Weltbestseller und von Brian de Palma mit Tom Hanks verfilmt wurde. Es folgten mit Hooking Up eine Sammlung von Essays und Erzählprosa (Blessing 2001) und weitere erfolgreiche Romane, darunter Ich bin Charlotte Simmons (Blessing 2005) und zuletzt der SPIEGEL-Bestseller Back to Blood (Blessing 2013). Der Autor lebt in New York.

Leseprobe

Hooking Up - wie das Leben an der Wende zum dritten Jahrtausends war: Die Welt eines Amerikaners* Im Jahr 2000 war der Begriff 'Arbeiterklasse' in den Vereinigten Staaten nicht mehr gebräuchlich, und das Wort 'Proletariat' war so überholt, dass es nur noch ein paar verbitterten, alten marxistischen Akademikern geläufig war, denen Drahthaare aus den Ohren wuchsen. Der durchschnittliche Elektriker, Klimatechniker oder Alarmanlagenmechaniker führte ein Leben, bei dem sich der Sonnenkönig erstaunt die Augen gerieben hätte. Er verbrachte seinen Urlaub in Puerto Vallarta, Barbados oder St. Kitts. Vor dem Abendessen saß er mit seiner dritten Ehefrau auf der Terrasse irgendeines Kurhotels und hatte sein Ricky-Martin-Zuckerrohrschneiderhemd bis zum Brustbein aufgeknöpft, damit man seine Goldketten inmitten der Brustbehaarung besser funkeln sehen konnte. Die beiden hatten gerade eine Lage Quibel-Mineralwasser aus dem Staate West Virginia bestellt, weil die einst bevorzugten europäischen Mineralwasser Perrier und San Pellegrino ihnen inzwischen so altmodisch vorkamen. Außer bei Leuten, die als 'Intellektuelle' bekannt waren und denen wir gleich einen Besuch abstatten werden, besaßen europäische Marken nicht einmal mehr den leisesten Snob-Appeal. Für unseren typischen Autoschlosser oder Handelsvertreter galt es als erwiesen, dass europäische Dinge zweitklassig waren. Abgesehen von drei deutschen Luxus-Automarken - Mercedes-Benz, BMW und Audi -, sah er europäische Erzeugnisse als mittelmäßig bis minderwertig an. Auf seinen Auslandsreisen konnte unser Elektriker wie jeder amerikanische Geschäftsmann Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sich um Gottes willen nicht in europäischen Krankenhäusern behandeln lassen zu müssen, die ihm kaum besser erschienen als die in der Dritten Welt. Ihm galt die europäische Hygiene als so primitiv, dass es für ihn der reine Wahnsinn war, sich in einer europäischen Klinik freiwillig eine Spritze geben zu lassen. Indirekt, unbewusst hatten seine Ansichten vielleicht damit zu tun, dass sein eigenes Land, die Vereinigten Staaten, inzwischen der mächtigste Staat der Welt war, so allmächtig wie Mazedonien unter Alexander dem Großen, Rom unter Julius Caesar, die Mongolei unter Dschingis Khan, die Türkei unter Mohammed II. oder England unter Königin Victoria. Sein Land war so mächtig, dass es begonnen hatte, kleine Staaten in Europa, Afrika, Asien und in der Karibik zu besetzen oder sie mit Raketen zu beschießen, und das aus keinem anderen Grund, als dass sich deren politische Führer gegenüber ihren Untertanen als Herren aufspielten. Unser Klimatechniker hatte wahrscheinlich noch nie etwas von Saint-Simon gehört, aber er machte die Zukunftsträume Saint-Simons und der anderen Sozialisten des 19. Jahrhunderts wahr - die Vorstellung nämlich, dass der gewöhnliche Arbeiter eines Tages die politische und persönliche Freiheit, die Freizeit und die nötigen Mittel besitzen werde, sich auf jede Weise, die er für geeignet hielte, zu verwirklichen und all seine Möglichkeiten auszuschöpfen. Aber nicht nur das: Jede Volksgruppe oder Rasse - jede, selbst soeben eingetroffene Flüchtlinge aus einem südamerikanischen Land - konnte die Regierung in einer amerikanischen Stadt übernehmen, wenn sie die Wählerstimmen und ein Minimum an Organisation besaß. Amerikaner konnten sich einer Freiheit und einer Macht rühmen, wie es sie in der Weltgeschichte nie zuvor gegeben hatte. Dennoch legte unser typischer Alarmanlagenmechaniker nicht ein einziges Watt chauvinistischer Großspurigkeit an den Tag. Ihm war durch die oben erwähnten 'Intellektuellen' ein Dämpfer aufgesetzt worden, die die vorangegangenen 80 Jahre hindurch ihre Entrüstung darüber geäußert hatten, was für eine 'puritanische', 'repressive', 'bigotte', 'kapitalistische' und 'faschistische' Nation Amerika hinter seiner demokratischen Fassade sei. Das bereitete ihm Kopfschmerzen. Außerdem war er zu sehr damit beschäftigt, mit einer Erscheinung fertig zu werden, die als 'sexuell