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Wagnisse

Risiken eingehen, Risiken analysieren, von Risiken erzählen, Kontingenzgeschichten 3

Erschienen am 06.04.2017, Auflage: 1/2017
42,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593507033
Sprache: Deutsch
Umfang: 229 S.
Format (T/L/B): 1.4 x 21.4 x 14.2 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Im Erfolgsfall winken dem Wagemutigen Ruhm, ökonomischer Gewinn sowie wachsendes soziales und symbolisches Kapital. Dem Scheiternden bleibt zumindest der Nachruhm: Hat er nicht die Zukunft herausgefordert und sich nicht passiv in sein Schicksal ergeben? Eingegangene Risiken werden jedoch erst im nachträglichen Erzählen zum Wagnis. Was die einen als Wagnis preisen, mag von anderen als Fehler, Übermut, Hybris, ja Verbrechen gesehen werden.

Autorenportrait

Stefan Brakensiek ist Professor für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Duisburg-Essen, Christoph Marx ist dort Professor für Außereuropäische Geschichte, Benjamin Scheller ist dort Professor für die Geschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit.

Leseprobe

Wagnisse: Risiken eingehen, Risiken analysieren, von Risiken erzählen Stefan Brakensiek, Christoph Marx und Benjamin Scheller Der vorliegende Band beruht auf Beiträgen zur Ringvorlesung "Wagnisse" des Graduiertenkollegs "Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage. Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln", die im Winter 2015/16 an der Universität Duisburg-Essen stattgefunden hat. Wir danken den Referentinnen und Referenten, dass sie sich auf ein Thema eingelassen haben, das für die konzeptionelle Weiterentwicklung dieses Forschungsvorhabens von zentraler Bedeutung ist. Allgemein geht es dem Graduiertenkolleg um den aktiven Umgang mit Zukunft, um Haltungen und Handlungsweisen, mit denen sich Menschen - epochenübergreifend und im globalen Maßstab - auf kontingente Ereignisse und Entwicklungen aktiv einstellen. Die empirischen Arbeiten der Kollegiatinnen und Kollegiaten haben sich bislang vor allem auf Schadensabwehr und Chancennutzung durch Vorsorge und Voraussicht konzentriert. Von diesen Forschungen ausgehend und darüber hinausgehend hat sich in internen Diskussionen und in Gesprächen mit zahlreichen Gästen, die auf unsere Einladung nach Essen gekommen sind, die hohe Bedeutung "menschengemachter" Kontingenz herausgeschält. Sie zeigt sich auf zahlreichen Feldern: in kriegerischen Konflikten, im Bereich ökonomischen Handelns, bei der Erkenntnissuche. Auf all diesen Feldern können Akteure durch ihr Handeln in ambivalente Problemlagen geraten: Sie erleben sich gleichermaßen als Gestaltende und als Erleidende. Krieg führen und Frieden suchen, in neue Geschäftsfelder investieren und das Bewährte vervollkommnen, Erkenntnisse suchen und deren Folgen einhegen: Menschliches Handeln ist geeignet, Kontingenz zu generieren, die dann die Bewältigung durch Vorsorge, Voraussicht und Vorhersage herausfordert. Eine solche Perspektivierung der Leitfrage des Graduiertenkollegs ist dessen praxeologischem Ansatz besonders adäquat: Es geht uns um die historisch wandelbaren Formen des Streitens, des Wirtschaftens, des Forschens und ihre sowohl kontingenzgenerierenden als auch kontingenzbewältigenden Aspekte. Deren Untersuchung eröffnet Möglichkeiten zur Reflexion der Vielfältigkeit von Zukunftshandeln in transepochaler und transregionaler Perspektive. Im Zentrum unserer Forschungen stehen Strategien und Handlungsweisen, die Kontingenz nicht lediglich als Problem bewältigen, sondern sie aktiv hervorbringen. In konkreten Fällen lässt sich die Suche nach Kontingenz geradezu als vorausschauendes Handeln deuten, indem sie Handlungsspielräume erweitert und Möglichkeitshorizonte vervielfacht. Hier knüpfen die Beiträge zum Thema "Wagnisse" unmittelbar an. Aktuell ist der Begriff vor allem in den Wirtschaftswissenschaften gebräuchlich, die Wagnisse als jedweder unternehmerischen Tätigkeit innewohnende Verhaltensweisen ansehen, die zum normalen Geschäftsverlauf gehören und zu Wagniskosten führen. Für den Fall, dass eine gewagte Aktivität von Erfolg gekrönt ist, geht die Betriebswirtschaftslehre davon aus, dass eine Wagnisprämie ausgeschüttet wird. Die Ringvorlesung hat sich demgegenüber eher an einer weiteren Begriffsbestimmung orientiert, wie sie "der Grimm" unter dem Lemma "Wagnis" vermerkt: "aufsspielsetzen, gefahr, kühne unternehmung". Das Historische Wörterbuch der Philosophie bemerkt, Wagnis sei "von sinnverwandten und zum Teil synonym verwendeten Begriffen wie Risiko oder Verwegenheit respektive Kühnheit nur schwer abgrenzbar". Der Begriff bezeichne "ein Verhalten oder Handeln, das mit Gefahren verbunden und dessen Ausgang ungewiß" sei. Wer ein Wagnis eingeht, setzt sich demnach willentlich Risiken aus. Wie bei jedem Risiko werden die Folgen des Handelns dem Wagemutigen zugeschrieben, nicht äußeren Bedrohungen oder unabwendbaren Gefahren. Wir gehen davon aus, dass der Wagemutige die Wahrscheinlichkeit von Erfolg oder Misserfolg nicht zwingend berechnet: Chancen und Risiken werden zwar gegeneinander abgewogen, aber - anders als bei einer Risikokalkulation - nicht statistisch bestimmt. Wer ein Wagnis eingeht, kalkuliert vielleicht, aber er rechnet nicht unbedingt. Ein Sprichwort besagt: "Wer wagt, gewinnt." Der Wagemutige kann zwar auf den ersten Blick scheitern, aber niemals ganz. Denn das Eingehen eines Wagnisses umgibt den Kühnen mit der Gloriole des Ruhms. Im Erfolgsfall winkt ihm in der Tat nicht allein ökonomischer Gewinn, sondern auch wachsendes soziales und symbolisches Kapital. Dem Scheiternden bleibt zumindest der Nachruhm: Hat er nicht wenigstens die Zukunft herausgefordert und sich nicht passiv in sein Schicksal ergeben? Ihn zeichnet Kühnheit aus im Angesicht von Gefahren, im Umgang mit dem Unbekannten, mit dem Wagnis hat er sich einer unbekannten Zukunft ausgesetzt. Im Erzählen entbrennt freilich ein Kampf um die Deutung einer riskanten Unternehmung: Denn was die einen als Wagnis preisen, mag für andere, die vielleicht gar nicht gefragt wurden, ob sie ein Risiko mittragen wollen, die vom Ausgang der riskanten Unternehmung aber auf die eine oder andere Weise betroffen sind, nicht etwa als Wagnis gesehen werden, sondern als Fehler, Übermut, Hybris, ja Verbrechen. Wer von Wagnissen spricht, stellt sich also auf die Seite der Unternehmungslustigen, die möglicherweise auch Gefahren für andere heraufbeschwören. Eingegangene Risiken werden demnach erst im nachträglichen Erzählen zum Wagnis. Verschiedene Kulturen entwickeln unterschiedliche Umgangsformen mit Wagnissen. Sie gehören als Unterfall in den weiter dimensionierten Bereich der gesellschaftlichen Risiko-Regime. Was sie eint, ist die Bannung von Kontingenz in Erzählungen. So gesehen ist das Wagnis das Ergebnis einer Narrativierung des Umgangs mit Kontingenz. An dieser Perspektivierung orientieren sich die meisten Beiträge dieses Bandes, indem sie nacherzählenden Formen der Sinngebung für gewagte Unternehmungen oder riskante allgemein-gesellschaftliche Verhaltensweisen fragen. So untersucht der Althistoriker Mischa Meier in seinem Beitrag die Frage, welche Überlegungen die oströmische Führung im Jahr 449 bewogen haben mögen, den Hunnenkönig Attila durch Angehörige einer Delegation unter der Leitung eines Offiziers mit Namen Maximinus ermorden zu lassen. Zwar scheiterte das Mordkomplott, und die Angehörigen der Gesandtschaft gerieten in höchste Lebensgefahr. Doch handele es sich bei dem versuchten Attentat keineswegs um eine Verzweiflungstat, also um einen Typus von Handlungen, "die von Akteuren vollzogen werden, deren Entscheidungen nicht mehr oder allenfalls noch partiell autonom getroffen werden; äußere Umstände, Kontingenzen oder andere Faktoren definieren in diesem Fall Handlungsräume, die in der Perspektive der Akteure tendenziell durch Alternativlosigkeit gekennzeichnet sind." Stattdessen sei der Versuch, Attila zu ermorden zu lassen, ein kalkuliertes Wagnis gewesen, eine Handlung, "die unter nüchterner Abwägung der den Akteuren verfügbaren Optionen und - vermeintlich! - ohne Konzessionen gegenüber einem irgendwie gearteten Handlungsdruck" erfolgte. Ziel des Attentats sei die Destabilisierung des hunnischen Herrschaftsverbandes gewesen. Denn zum einen ließen zeitgenössische Quellen erkennen, dass die oströmische Führung über präzises Wissen über die zentrifugalen Tendenzen innerhalb der losen hunnischen Kriegerkonföderation verfügte und davon ausging, dass diese bei einem Tod Attilas erheblich an Wucht gewinnen würden. Zum anderen habe der Hunneneinfall des Jahres 447, der mit einem schweren Erdbeben koinzidierte, die Legitimität der oströmischen Kaiserherrschaft derart erschüttert, dass es plausibel erscheine, der Entschluss, den Hunnenkönig ermorden zu lassen, sei aus einem rationalen Kalkül gefasst worden angesichts dieses "Katastrophenclusters" und des "gefährlichen Deutungspotenzials", das es barg. Um den Umgang mit den Gefahren der kaufmännischen Seefahrt im Spätmittelalter geht es in dem Beitrag von Giovanni Ceccarelli. Die Seeversicherung, die seit den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunder...